Welche Rechte haben Mieter bei einer Zwangsversteigerung?

Wenn eine Immobilie zwangsversteigert wird, fragen sich viele Mieterinnen und Mieter: «Muss ich jetzt sofort ausziehen?», Die gute Nachricht lautet: Nein. Das Schweizer Recht schützt Mietparteien umfassend, selbst wenn der Eigentümerwechsel unfreiwillig über den Steigerungstisch läuft. Dank klarer Bestimmungen im Obligationenrecht (OR) und in der Zivilprozessordnung bleibt das Zuhause meist erhalten, und selbst im Extremfall gelten faire Fristen. Dieser Artikel zeigt detailliert, welche Rechte du hast, wo mögliche Stolpersteine liegen und wie du dich optimal vorbereitest.

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1 Rechtsgrundlagen im Überblick

Norm	Inhalt	Relevanz für Mieter:innen
Art. 261 OR	Mietvertrag geht auf Erwerber über («Kauf bricht Miete nicht»).	Vertrag bleibt bestehen, alle bisherigen Konditionen gelten.
Art. 261 Abs. 2 OR	Ausserordentliche Kündigung bei dringendem Eigenbedarf.	Frist: 3 Monate auf nächsten ortsüblichen Termin.
Art. 271 ff. OR	Kündigungsschutz / Anfechtung missbräuchlicher Kündigungen.	Mieter kann innerhalb von 30 Tagen Schlichtungsbehörde anrufen.
Art. 133 ff. SchKG	Formvorschriften der Versteigerung & Informationspflichten.	Mieter erhält amtliche Mitteilung über bevorstehenden Zuschlag.

«Der Gesetzgeber will verhindern, dass Mieter als schwächstes Glied der Kette unter die Räder kommen. Deshalb ist der Kündigungsschutz auch bei Zwangsverwertungen unvermindert stark.»

2 Mietvertrag: Was passiert nach dem Zuschlag?

2.1 Grundsatz «Kauf bricht Miete nicht»

Sobald das Betreibungsamt den Zuschlag erteilt, tritt die ersteigernde Partei automatisch in sämtliche Rechte und Pflichten des laufenden Mietvertrags ein (Art. 261 Abs. 1 OR). Das bedeutet:

• Die bisherige Miete bleibt unverändert.
• Bestehende Nebenkostenvereinbarungen gelten weiter.
• Die Mietkaution muss vom bisherigen Vermieter an den neuen überwiesen werden.

2.2 Sonderfall befristeter Vertrag

Läuft dein Vertrag noch fünf Jahre oder länger, kann er im Grundbuch eingetragen sein (Art. 216 OR). In diesem Fall ist eine vorzeitige Kündigung praktisch ausgeschlossen, selbst bei Eigenbedarf, du geniesst maximalen Bestandesschutz.

3 Kann der neue Eigentümer kündigen?

3.1 Ausserordentliche Kündigung (Eigenbedarf)

Der neue Besitzer darf gemäss Art. 261 Abs. 2 OR ausserordentlich kündigen, wenn dringender Eigenbedarf für sich oder nahe Angehörige besteht. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate, wirksam auf den nächstmöglichen ortsüblichen Termin.

3.2 Ordentliche Kündigung

Versäumt der Eigentümer die Sonderkündigung, gelten die gewöhnlichen Fristen und Termine deines Mietvertrags. Für Wohnungen sind das meist drei Monate auf einen ortsüblichen Termin (z. B. 31. März, 30. Juni, 30. September, 31. Dezember). Jede Kündigung kannst du auf Missbräuchlichkeit prüfen lassen (Art. 271 ff. OR).

4 Rechte der Mieter vor der Versteigerung

1. Informationsrecht: Das Betreibungsamt muss dir den Termin sowie die Steigerungsbedingungen schriftlich mitteilen.
2. Besichtigungsrecht: Du darfst potenziellen Bietern den Zutritt gewähren, aber nur nach vorgängiger Absprache.
3. Mietzinsdepot: Bleibt auf einem Sperrkonto, keine Partei darf es ohne deine Zustimmung auflösen.

Darf ich die Miete an das Betreibungsamt statt an den Vermieter zahlen?

Ja, wenn der Eigentümer insolvent ist und du Gefahr läufst, dass die Miete «verschwindet», kannst du sie nach Art. 168 SchKG hinterlegen. Das schützt dich vor Doppelzahlungen.

5 Rechte der Mieter nach dem Zuschlag

• Zahlungsadresse: Bis zum Grundbucheintrag bleibt der alte Vermieter formell Dein Ansprechpartner. Das Betreibungsamt informiert, wann die Zahlung an die neue Eigentümerschaft gehen soll.
• Wohnrecht für 3 Monate garantiert: Selbst bei sofortiger Eigenbedarfskündigung hast du mindestens drei Monate Zeit, neue Räume zu finden.
• Bleiberecht bei Missbrauchsprüfung: Läuft ein Verfahren vor der Schlichtungsbehörde, darfst du bis zum rechtskräftigen Entscheid in der Wohnung bleiben.

6 Wirtschaftliche Aspekte für Mieter

Eine Zwangsversteigerung kann auch Chancen bieten:

• Modernisierung: Neue Eigentümer investieren oft in die Sanierung, dein Wohnkomfort steigt.
• Unveränderte Miete: Solange kein wertvermehrender Ausbau stattfindet, kann der neue Vermieter die Miete nicht einfach erhöhen.
• Angebot zur Rückmiete: Manche Investoren bieten dir einen langfristigen Vertrag an, um Planungssicherheit zu gewinnen.

7 Praxisbeispiel: Familie Meier bleibt drin

Die 4-Zimmer-Wohnung der Familie Meier in Bern wurde 2024 zwangsversteigert. Dank Art. 261 OR blieb ihr Mietvertrag unangetastet. Die ersteigernde Genossenschaft kündigte nicht, sondern sanierte Bad und Küche. Die Miete wurde erst nach der Sanierung massvoll angepasst (Art. 269a OR), was von der Schlichtungsbehörde genehmigt wurde. Ergebnis: höherer Wohnkomfort, moderate Mehrkosten von 3 %. Ein Beispiel dafür, dass Zwangsverwertungen nicht zwingend Verdrängung bedeuten.

8 Checkliste für Mieter

1. Amtliche Mitteilung gut aufbewahren.
2. Datum der Versteigerung notieren.
3. Bei Unsicherheit Mieterverband oder Fachanwalt kontaktieren.
4. Frist zur Kündigungs­anfechtung (30 Tage) im Kalender eintragen.
5. Mietkautionskonto prüfen, Kontoinhaberwechsel überwachen.
6. Allenfalls Hinterlegung der Miete erwägen (Art. 168 SchKG).

9 FAQ

Kann ich selbst an der Versteigerung teilnehmen?

Ja, du darfst mitbieten. Du benötigst jedoch die im Steigerungskatalog geforderte Sicherheitsleistung (oft 10 % des Schätzwerts) und eine Finanzierungszusage deiner Bank.

Was, wenn meine Wohnung in Stockwerkeigentum umgewandelt wird?

Bei Parzellierung in Stockwerkeigentum greift Art. 261b OR. Der neue Eigentümer kann frühestens drei Monate nach Eintragung im Grundbuch kündigen, wiederum mit Eigenbedarf und den üblichen Fristen.

Gilt der Kündigungsschutz auch für Geschäftsräume?

Ja, die Grundsätze von Art. 261 OR gelten sinngemäss. Der neue Eigentümer kann bei dringender Eigenverwendung kündigen. Frist: sechs Monate (Art. 266d OR).

10 Fazit: Gelassen bleiben, das Recht ist auf deiner Seite

Eine Zwangsversteigerung bedeutet nicht automatisch den Verlust des Zuhause. Dank eines robusten Kündigungsschutzes, klaren Fristen und der Möglichkeit, jede Kündigung anzufechten, stehen die Chancen gut, weiterhin in deiner Wohnung zu bleiben. Informiere dich frühzeitig, nutze deine Rechte konsequent, dann kann selbst eine Versteigerung positive Impulse für deine Wohnsituation bringen.